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Im Namen Allāhs, des Allerbarmers, des Barmherzigen
Die Quellen der °Aqīdah (Glaubensgrundlage) und des Fiqh (Rechtswissenschaft)
Alles Lob und Preis gebührt Allāh, dem Herrn der Welten und Sein Segen und Heil seien auf dem geehrtesten der Propheten und Gesandten, Muḥammad, dem Sohne °Abd Allāhs, und auf seiner gereinigten Familie, seinen gesegneten Gefährten und auf all jenen, die ihnen im Guten bis zum Jüngsten Tag folgen.
Wie wir wissen, werden 'Aḥadīth (Überlieferungen) wie jene, die als „'Aḥadīth mutawātirah" (Überlieferungen mit ununterbrochener Überliefererkette und großer Anzahl von Überlieferern) bezeichnet werden, irrtümlicherweise als Quelle für oder als Teile der °Aqīdah (Glaubensgrundlage) herangezogen. Wir wollen im Nachfolgenden diesen Zustand beleuchten und die Rechtsquellen des Idschtihād (islāmische Urteilsfindung) erklären.
Vorerst legen wir die Bedeutung der °Aqīdah fest. Der Begriff der °Aqīdah hat stets mit den Masā'il al-Īmāniyyah (Angelegenheiten des Glaubens) zu tun und dieser Īmān (Glaube) befindet sich im Herzen. Die °Aqīdah ist also das, was ein Muslim in seinem Herzen glaubt und fest verankert ist. Das ist also jenes, was wir in unseren Herzen tragen und woran wir in unseren Herzen glauben und davon fest überzeugt sind. Für eine derartige Überzeugung muss Yaqīn (Gewissheit) da sein und Yaqīn kann nicht gegeben sein, wenn es auch den geringsten Ẓann (Zweifel) gibt. Wann kann Yaqīn tatsächlich als Yaqīn bezeichnet werden? Yaqīn ist dann Yaqīn, wenn er frei von jeglichem Schakk (Verdacht) oder Ẓann ist und dann erst stellt es die °Aqīdah eines Mu'min (Gläubigen) dar. Das bedeutet, dass wir an die Inhalte der °Aqīdah mit Yaqīn glauben und davon absolut und fest überzeugt sein müssen. Des Weiteren darf auch jenes, woran wir glauben, keine Fehler enthalten, es darf nicht widersprüchlich sein und keine strittigen Anhaltspunkte und Zweifel bieten, die Einwände mit sich ziehen würden. Solch eine °Aqīdah kann es nur geben, wenn sie mit Yaqīn, also mit 'Adillah qaṭ°īyyah (absolut konkreten, eindeutigen und stichhaltigen Beweisen) bestätigt wurde.
Diese teilen sich in zwei Kategorien, die beide stichhaltig sind:
- qaṭ°ī al-Thubūt (absolut konkret, eindeutig und stichhaltig in Bezug auf die Quelle)
- qaṭ°ī al-Dalālah (absolut konkret, eindeutig und stichhaltig in Bezug auf die Bedeutung)
Vereinfachend erklärt bedeutet qaṭ°ī al-Thubūt, dass wir die Quelle der 'Adillah (Beweise) kennen und somit wissen, woher die 'Adillah stammen. Wir wissen, dass der edle Qur’ān von Allāh (سبحانه و تعالى) stammt, Waḥī (Offenbarung) von Allāh (عز وجل) darstellt und von Ihm bewahrt wird. Die 'Āyāt aus dem edlen Qur’ān sind somit immer 'Adillah der Kategorie qaṭ°ī al-Thubūt. Die Quelle ist klar und deutlich und wird von Allāh (جل جلاله) geschützt. Qaṭ°ī al-Dalālah bezieht sich auf die Deutung dieses Dalīls (Beweises) und zwar ob der Dalīl als qaṭ°ī (eindeutig, klar) oder ẓannī (mehrdeutig, unklar) angesehen wird und nur auf eine oder auf mehrfache Weise verstanden werden kann.
Muḥkamāt (eindeutige 'Āyāt) und Mutaschābihāt (mehrdeutige 'Āyāt)
Wie festgestellt, ist der Qur’ān qaṭ°ī al-Thubūt, wobei die 'Āyāt zum Teil 'Adillah qaṭ°īyyah (eindeutige Beweise) und zum Teil 'Adillah ẓannīyyah (mehrdeutige Beweise) sind. Hierbei stellt al-Ẓannīyyah (die Mehrdeutigkeit) das Gegenteil von al-Qaṭ°īyyah (der Eindeutigkeit) dar. Während „qaṭ°ī" diesbezogen eindeutig bzw. klar bedeutet, ist hier mit „ẓannī" mehrdeutig gemeint.
Sofern es sich um einen Ḥukm (Urteil) bezüglich der °Aqīdah handelt, so müssen dies beiden Kriterien genügen und somit qaṭ°ī al-Thubūt und qaṭ°ī al-Dalālah sein. Es muss also einerseits bekannt und klar sein, woher der Dalīl (Beweis) stammt und andererseits muss die Bedeutung eindeutig sein und darf keine weiteren bzw. mehrere Deutungen zulassen.
Die islāmischen 'Adillah (Beweise) leiten sich aus zwei Quellen ab:
- Dem edlen Qur’ān
- Der gereinigten Sunnah
Wir wissen also und haben keinerlei Zweifel, dass der Qur’ān qaṭ°ī al-Thubūt (absolut konkret, eindeutig und stichhaltig in Bezug auf die Quelle) ist; da wir wissen, woher er stammt und wer ihn bewahrt.
Was die 'Adillah (Beweise) aus dem Qur’ān betrifft, so teilen sich die 'Āyāt in solche die qaṭ°ī (eindeutig, klar) und solche die ẓannī (mehrdeutig, unklar) sind. Die 'Aḥkām (Urteile) im edlen Qur’ān, die als qaṭ°ī (eindeutig, klar) angesehen werden, können in eine Stufenordnung hinsichtlich ihrer Qaṭ°īyyah (Eindeutigkeit) gebracht werden. Denn, welche 'Āyāt qaṭ°ī (eindeutig, klar) und welche ẓannī (mehrdeutig, unklar) sind, wurde uns nicht vorgeschrieben und auch ist kein Ma°ṣūm (Unfehlbarer) unter uns, der uns die 'Āyāt danach bestimmen würde, welche derer qaṭ°ī (eindeutig, klar) und welche ẓannī (mehrdeutig, unklar) sind. Demnach ist die Bestimmung einer 'Āyah, ob sie nun qaṭ°ī (eindeutig, klar) oder ẓannī (mehrdeutig, unklar) ist eine Angelegenheit des Idschtihād eines °Ālim (Gelehrten).
Die Entscheidung, eine 'Āyah als qaṭ°ī (eindeutig, klar) einzustufen, wirft die Frage auf, ob die 'Āyah diese Eindeutigkeitsstufe aufweist, so dass man sie als Teil der °Aqīdah betrachten kann und darf und stellt wiederum einen Gegenstand des Idschtihād dar. Wie entscheidet man, ob eine 'Āyah diese Stufe der Qaṭ°īyyah (Eindeutigkeit) aufweist, so dass die °Aqīdah auf dieser 'Āyah basieren darf? An dieser Stelle kommt der Begriff des Ittifāq (Konsens) zum Tragen. Damit ist gemeint, dass die islāmische Ummah (Nation) diese 'Āyah seit jeher als qaṭ°ī (eindeutig, klar) betrachtet und jeder, der sie liest, sie nur auf eine einzige Weise versteht, sie keine weiteren Interpretationen zulässt und sich niemand gegen diese Bedeutung äußert bzw. ihr eine andere, als diese eine Bedeutung zuspricht. So kann diese 'Āyah als qaṭ°ī (eindeutig, klar) auf der höchsten Stufe bezeichnet werden und ist damit so qaṭ°ī (eindeutig, klar), dass die °Aqīdah auf sie bezogen werden und Teil der °Aqīdah sein kann und darf. Das ist Muttafaq °alā qaṭ°ī (Konsens bezüglich der Eindeutigkeit), was bedeutet, dass in Bezug auf die Bedeutung kein Einspruch erhoben oder nicht behauptet wurde, dass diese 'Āyah anders verstanden werden könnte.
Wenn es nun eine 'Āyah gibt, die als qaṭ°ī (eindeutig, klar) eingestuft wird, aber diesbezüglich zwei unterschiedliche Auslegungen vorliegen, wobei einer zufolge die Stufe der Qaṭ°īyyah (Eindeutigkeit) so festgelegt wurde, dass diese 'Āyah als Grundlage für die °Aqīdah berücksichtigt werden kann und die andere diese Einstufung ablehnt und eine andere Meinung vertritt, so stellt dieser Fall einen Konflikt dar, der zum Takfīr (Exkommunikation bzw. das Ausschließen eines Muslims aus dem Islām) führen kann. Wie kommt dieser Takfīr zustande? Jene Partei, die diese 'Āyah als so qaṭ°ī (eindeutig, klar) erachtet, dass sie als Teil der °Aqīdah betrachtet wird, bezeichnet jemanden, der dieser 'Āyah zuwider handelt als einen Kāfir (Nichtmuslim). Die andere Partei, die zwar diese 'Āyah ebenfalls als qaṭ°ī (eindeutig, klar) einstuft, aber nicht auf der Stufe, so dass sie als Teil der °Aqīdah berücksichtigt würde, beurteilt eine Tat, die sich dieser 'Āyah gegenüber widersprüchlich verhält, nicht als Kufr (Unglauben). So sind für manche °Ulamā (Gelehrten) bestimmte 'Āyāt nicht derart qaṭ°ī (eindeutig, klar), dass sie als Teil der °Aqīdah gesehen werden und deswegen erachten sie diesen Takfīr als Ẓulm (Unrecht) und als bāṭil (ungültig). Die °Aqīdah, womit wir den Tauḥīd (Monotheismus) und den Islām verstehen, ist mit eindeutigen 'Āyāt belegt worden, die so eingestuft sind, dass sie die höchste Stufe der Qaṭ°īyyah (Eindeutigkeit) darstellen.
Ẓannīyyah (Mehrdeutigkeit) der 'Aḥadīth (Überlieferungen)
Bisher haben wir über den edlen Qur’ān gesprochen und gelangen jetzt zur zweiten Quelle der islāmischen Beweisführung, zu den 'Aḥadīth al-Scharīfah (ehrenwerten Überlieferungen). Diese können in zwei Teile gegliedert werden:
- 'Aḥadīth vom Propheten (صلى الله عليه وعلى آله وسلم)
- 'Aḥadīth von den 'Imāmen der 'Ahl al-Bayt (عليهم السلام)
Diese 'Aḥadīth sind Teil der gereinigten Sunnah, also jenes was der Prophet (صلى الله عليه وعلى آله وسلم) bzw. die 'Imāme der 'Ahl al-Bayt (عليهم السلام) gesagt bzw. getan oder stillschweigend akzeptiert haben. 'Aḥadīth konnten zur Zeit des Propheten bzw. der 'Imāme ebenso wie 'Āyāt qaṭ°ī al-Thubūt (absolut konkret, eindeutig und stichhaltig in Bezug auf die Quelle) sein. Als die Ṣaḥābah (Anhänger) des Propheten damals seine Rede direkt von ihm gehört oder etwas von ihm bzw. von den 'Imāmen (عليهم السلام) gesehen haben, so war das qaṭ°ī (eindeutig, klar), da sie dies direkt vernommen haben und es dabei keinen Ẓann (Zweifel) gab. Der andere Fall war, wenn sie etwas von jemandem gehört haben, den der Prophet (صلى الله عليه وعلى آله وسلم) als thiqah (vertrauenswürdig) angesehen hatte, wie das zum Beispiel bei einem Boten gewesen wäre, wenn er vom Propheten zu jemandem geschickt wurde, um eine Nachricht zu überbringen. Der Prophet hat klarerweise einen vertrauenswürdigen Boten entsandt und die Nachricht, die er zu überbringen hatte, war dann qaṭ°ī al-Thubūt (absolut konkret, eindeutig und stichhaltig in Bezug auf die Quelle). Alle anderen 'Aḥadīth, auf die nicht eine dieser beiden Situationen zutrifft, sind nicht qaṭ°ī (absolut stichhaltig) und entsprechen alle ohne Ausnahme ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle). Für uns bedeutet das demnach, dass alle 'Aḥadīth, die heute in den Büchern enthalten sind, definitiv und indiskutabel ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle) sind.
Idschtihād der °Ulamā (Gelehrten)
Wenn nun in den Büchern, die wir heutzutage haben, viele 'Aḥadīth verzeichnet sind, stellt sich die Frage, wie überprüft werden kann, dass der Prophet oder die 'Imāme diese Aussagen tatsächlich getätigt haben. Hier kommt nun den °Ulamā (Gelehrten) die Aufgabe dieser Prüfung zu, die auf dem Studium der 'Aḥadīth, der Asanīd (Überliefererketten) und der Mutūn (Inhalte) basiert. Wie wir wissen, besteht ein Ḥadīth (eine Überlieferung) aus den beiden Teilen:
- Matn (Inhalt)
- Sanad (Überliefererkette)
Die Mudschtahidūn (Rechtsgelehrten) prüfen nun im Verfahren „°Amaliyyah Idschtihādiyyah" diese beiden Bestandteile der 'Aḥadīth, wobei manche °Ulamā (Gelehrten) zuerst die Asanīd (Überliefererketten) und im Anschluss die Mutūn (Inhalte) und manche °Ulamā zuerst die Mutūn (Inhalte) und dann die Asanīd (Überliefererketten) prüfen. Wir prüfen zuerst die Mutūn (Inhalte) und dann die Asanīd (Überliefererketten). In diesem Prüfverfahren werden die vorhandenen Informationen auf ihre Richtigkeit bzw. Falschheit und im Hinblick auf ihre Widersprüchlichkeit zum bzw. ihren Einklang mit dem edlen Qur’ān untersucht. Die Leben der Ruwā (Überlieferer) wird beleuchtet und es wird ermittelt, welche Werke sie geschrieben und wie sie ihr Leben verbracht haben. Dieses Verfahren, wie es uns heute vorliegt, hat nicht schon seit Anbeginn in dieser Form existiert, sondern es hat sich in einer sehr komplexen Weise und durch enormen Aufwand über die Jahre entwickelt und etabliert. Es ist ein Prozess, eine Arbeit und ein Abmühen auf dem Weg Allāhs, eine große und verantwortungsvolle Aufgabe und Leistung, die nur von den °Ulamā erbracht werden kann.
Ḥadīth Mutawātir und Ḥadīth al-Āhād
Unter den °Ulamā besteht in diesen Zusammenhängen keine Einigkeit über die Definitionen von Begriffen. Über die Definition von al-Tawātur (ein Grad der Gewissheit in Bezug auf eine Überliefererkette, da die Anzahl der Überlieferungen groß genug ist, sodass keine Möglichkeit für eine Verschwörung der Überlieferer bei der Erstellung der Überlieferung besteht) und in der Folge über die Bestimmung, was ein Ḥadīth Mutawātir (Überlieferung mit ununterbrochener Überliefererkette und großer Anzahl von Überlieferern) ist, gibt es demnach auch 'Ikhtilāf (Meinungsverschiedenheiten) unter den Leuten des Wissens ('Ahl al-°Ilm). Im Allgemeinen kann bezüglich des Ḥadīth Mutawātir festgehalten werden, dass ein bestimmter Matn (Inhalt) von mehreren Quellen, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen, übermittelt wird und deshalb von seiner Richtigkeit ausgegangen wird. Es gibt nun Definitionen, welche die Anzahl der Quellen spezifizieren und erst ab der Anzahl von fünf Quellen einen Ḥadīth als mutawātir festlegen. Dann gibt es solche Definitionen, die sieben Quellen erfordern. Andere Definitionen beziehen sich auf Personen im Sanad (Überliefererkette) und ihre Position in der Abfolge der Personen bis zum Propheten bzw. die Anzahl der Personen zwischen ihnen und dem Propheten (صلى الله عليه وعلى آله وسلم), also darauf aus welcher Anzahl von Personen sich der Sanad (Überliefererkette) zusammensetzt.
Diese unterschiedlichen Festlegungen, wie ein Ḥadīth als mutawātir definiert wird, beeinflusst klarerweise die Bestimmung, was unter einem Ḥadīth Mutawātir verstanden wird. Die Meinungen unter den °Ulamā, wie al-Tawātur verstanden wird, gehen auseinander und genauso verhält es sich bezüglich des Ḥadīth al-Āhād. Nun gibt es °Ulamā, die der Meinung sind, dass die °Aqīdah auf den 'Aḥadīth Mutawātirah begründet werden kann und diesbezüglich gibt es wiederum 'Ikhtilāf (Meinungsverschiedenheiten), da diese Entscheidung auf den jeweiligen Idschtihād zurückzuführen ist.
Für uns ist es klar und deutlich und von wichtiger Bedeutung: 'Aḥadīth, ob sie als mutawātir oder āhād klassifiziert sind oder nicht, entsprechen immer ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle). Wie wir das schon davor darlegten, darf die °Aqīdah nicht auf 'Adillah (Beweise), die ẓannī al-Thubūt entsprechen, begründet werden. Die °Aqīdah darf nur auf 'Adillah (Beweise) der Kategorien qaṭ°ī al-Thubūt (absolut stichhaltig in Bezug auf die Quelle) und qaṭ°ī al-Dalālah (absolut stichhaltig in Bezug auf die Bedeutung) gestützt werden.
Wie steht es nun aber um die 'Aḥadīth al-Mutawātirah und wie kann es sein, dass diese im Hinblick auf die Bedeutung, die ihnen beigemessen wird, nicht stichhaltig, qaṭ°ī sein können? Wir sagen dazu, dass es 'Aḥadīth gibt, die als mutawātir eingestuft wurden, diese jedoch dem edlen Qur’ān eindeutig widersprechen. Sie widersprechen den eindeutigen 'Āyāt im Qur’ān und genau darin liegt die Problematik. Unser Maßstab, unsere Waage und unser Wegweiser ist der edle Qur’ān und selbst wenn der Ḥadīth Mutawātir auch als völlig richtig, also ṣaḥīḥ (authentisch) klassifiziert wurde, während er aber dem edlen Qur’ān widerspricht, so verhält es sich gleich, wie wenn der Ḥadīth für uns nicht existieren würde und das steht außer Frage.
Wenn die 'Aḥadīth mit dem edlen Qur’ān jedoch übereinstimmen, so sind diese für uns ṣaḥīḥah (authentisch). Diese Richtigkeit bezieht sich aber auf den bloßen Matn (Inhalt), die Bedeutung und nicht auch auf den Kontext. Es kann nicht bestätigt werden, dass ein bestimmter Kontext, so wie er uns vorliegt, tatsächlich vom Propheten (صلى الله عليه وعلى آله وسلم) stammt, da wir nicht behaupten können und niemand behaupten kann, dass der Prophet (صلى الله عليه وعلى آله وسلم) exakt genau dies und jenes mit der bestimmten Wortwahl gesagt hat. Wir können sagen, dass sich der Ḥadīth auf den Propheten (صلى الله عليه وعلى آله وسلم) bezieht und die Bedeutung des Matn (Inhalts) des Ḥadīth mit den eindeutigen 'Āyāt im edlen Qur’ān im Einklang steht und deshalb für uns dieser Ḥadīth ṣaḥīḥ (authentisch) ist. Jeder Ḥadīth, der nicht mit den eindeutigen 'Āyāt im edlen Qur’ān übereinstimmt, sondern denen widerspricht, akzeptieren wir nicht.
Darüber hinaus gibt es 'Aḥadīth, die den 'Āyāt weder widersprechen noch mit ihnen übereinstimmen. Diese können wir demnach weder annehmen noch ablehnen und stufen die Angelegenheit als unbestimmt ein, bis Allāh (عز وجل) erlaubt, dass die Realität diese 'Aḥadīth bestätigt. Bis dahin können sie weder angenommen noch abgelehnt werden.
Zusammenfassend halten wir nochmal fest: Alle 'Aḥadīth, die uns heute vorliegen sind nicht als absolut ṣaḥīḥ (authentisch) in Bezug auf ihre Herkunft anzusehen, sie sind nicht qaṭ°ī al-Thubūt (absolut stichhaltig in Bezug auf die Quelle), sondern sie sind Bezug auf ihre Herkunft ẓannī (unklar, zweifelhaft) - also sie sind also ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle). Jeder Dalīl (Beweis), der ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle) ist, also seine Quelle, seine Herkunft nicht qaṭ°ī (zweifelslos, klar und deutlich) ist, darf nicht selbstverständlich und ohne Weiteres angenommen werden, um darauf basierend die °Aqīdah zu bilden. Dies ist nur denkbar und möglich, wenn der Ḥadīth mit einer 'Āyah aus dem edlen Qur’ān zusammen betrachtet wird und mit dieser übereinstimmt.
Wir sagen klar und deutlich: Die 'Aḥadīth sind für uns ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle), ihre Herkunft ist also ẓannī (unklar, zweifelhaft). Es gibt viele 'Aḥadīth, deren Matn (Inhalt) mit dem edlen Qur’ān übereinstimmt, wie z.B. 'Aḥadīth, die uns über Eigenschaften und Namen Allāhs, den Tauḥīd oder Anbetungsformen berichten. Wir akzeptieren diese 'Aḥadīth, da sie dem edlen Qur’ān nicht widersprechen. Es gibt aber auch 'Aḥadīth, die unabhängig von ihrer Stufe dem edlen Qur’ān widersprechen, wie z.B. 'Aḥadīth, in denen zu lesen ist, dass man Allāh (جل جلاله) sehen kann oder dass Allāh (تبارك وتعالى) zum Himmel hinuntersteigt - diese 'Aḥadīth lehnen wir ab.
Es gibt eine weitere Sorte von 'Aḥadīth, nämlich jene, in denen etwas berichtet wird, wobei diese Thematik im edlen Qur’ān nicht konkreter erwähnt wird, aber dem edlen Qur’ān auch nicht widerspricht. Es sind zum Beispiel viele 'Aḥadīth, die al-Dschannah (das Paradies) oder den Zustand der Mu'minūn (Gläubigen) und der Gaben in al-Dschannah beschreiben. Diese Beschreibungen finden wir nicht im edlen Qur’ān, allerdings finden wir auch nichts, was dem widerspricht und können diese Aussagen weder bestätigen noch ablehnen. Da wir diese weder komplett annehmen noch verwerfen können, sagen wir dazu, dass diese Angelegenheit bei Allāh ist, wa Allāhu °ālem (und Allāh weiß es am besten).
Der Unterschied zwischen dem Qur’ān und der Sunnah
Wenn uns nun beides, der edle Qur’ān und die Sunnah durch Menschen übermittelt wurde, was ist dann der Unterschied hinsichtlich der Authentizität der beiden Quellen, wobei der Qur’ān, wie wir wissen, ein Wunder ist? Dass der Qur’ān ein Wunder ist, stellt gleichzeitig den Dalīl (Beweis) für den Unterschied zur Sunnah dar. Auch wenn uns der edle Qur’ān und die Sunnah von Menschen überbracht wurden, ist die Authentizität des edlen Qur’ān darauf zu beziehen, dass der edle Qur’ān ein Wunder ist und Allāh (تبارك وتعالى) uns mitgeteilt hat, dass er den edlen Qur’ān (vor Verfälschung) bewahrt, was wir selbst auch beobachten und erkennen können. Was die Sunnah betrifft, dann sehen wir, dass dies nicht der Fall ist und es vielerlei Dinge gibt, die nicht nachvollzogen werden können bzw. dem edlen Qur’ān widersprechen. Der edle Qur’ān wurde im Unterschied zur Sunnah von Allāh (تـعـالـى) bewahrt. Er ist ein Wunder, wird von Allāh (سبحانه و تعالى) beschützt und ist daher absolut qaṭ°ī (absolut stichhaltig) in Bezug auf seine Herkunft.
Die Rechtsurteile im Fiqh (der Rechtswissenschaft)
Wie erklären wir nun, dass die Sunnah für 'Aḥkām (Rechtsurteile) in Bezug auf den Fiqh (Rechtswissenschaft) berücksichtigt wird? Wie wir wissen, ist al-Fiqh ein Teil unseres Dīn (Religion) und er bezieht sich auf Angelegenheiten der Taten und nicht auf Angelegenheiten der °Aqīdah. Während wir die 'Aḥkām (Urteile) bzw. die Wissensinhalte, die sich auf Fragen der °Aqīdah beziehen, also das, was sich in unserem Herzen befindet, was dort verankert ist, als Masāi'l al-°Aqīdah (Themen der Glaubensgrundlage) oder auch Īmāniyyāt (Glaubenslehre) bezeichnen, nennen wir jene, die sich mit Fragen der Taten, wie z.B. Anbetungsformen beschäftigen, Masā'il al-°Amaliyyah (Angelegenheiten der Taten) oder auch Fiqhiyyāt (Rechtslehre). Wenn nun in diesem Gegenstandsbereich ein Fehler oder Missverständnis passiert, so führt das nicht dazu, dass man damit den Islām verlässt und aus dem Dīn austritt, da es nicht mit der °Aqīdah in Verbindung steht und keinen Ḍarar (Schaden) für die °Aqīdah darstellt.
Für Fragen des Fiqh akzeptieren wir demnach die 'Aḥadīth, auch wenn diese ẓannī al-Thubūt (zweifelhaft in Bezug auf die Quelle) sind. Die meisten dieser 'Aḥadīth beziehen sich auf die °Ibādāt (Anbetungsformen) und erklären uns, wie man diese verrichtet. Beispielsweise ist uns im edlen Qur’ān das Gebet vorgeschrieben, aber dort finden wir nicht, wie das Gebet verrichtet werden soll und müssen hierzu die 'Aḥadīth heranziehen. Andernfalls würden wir den gesamten Dīn und die Praktiken zum Stillstand bringen, der Dīn würde nicht mehr gelebt werden und dieser Zustand darf nicht eintreten.
Viele 'Aḥadīth, die von Taten handeln, enthalten entweder 'Awāmir (Befehle), Ma°rūf (etwas Gutes) zu tun oder Taḥrīmāt (Verbote), Munkar (Schlechtes) zu begehen. Wir sollen die 'Aḥadīth, die uns al-Ma°rūf gebieten und al-Munkar (etwas Schlechtes) verbieten, akzeptieren – es schadet uns nicht und ist in jedem Fall zu unserem Vorteil. Wenn uns zwei 'Aḥkām (Urteile) vorliegen und eins davon von Ḥalāl (Erlaubtem) handelt und das andere von einem Farḍ (einer Verpflichtung), so entscheiden wir uns dafür, jenes zu berücksichtigen, dass uns den Farḍ (die Pflicht) nahelegt, da mit dem Farḍ (der Pflicht) auch die Belohnung von Allāh (تـعـالـى) einhergeht und der Bestrafung entgangen wird. Wenn sich in einem anderen Fall ein Ḥukm (Urteil) auf einen Ḥalāl (Erlaubtes) und das andere auf einen Ḥarām (ein Verbot) bezieht, so widmen wir uns dem, was zumindest ḥalāl (erlaubt) ist, während wir den Ḥarām (das Verbot) unterlassen. Es ist also nicht unbekannt, wie mit diesen 'Aḥadīth umzugehen ist. Vielmehr existieren Richtlinien für die Ummah (Nation) diesbezüglich. Die 'Aḥadīth erklären uns, wie wir die °Ibādāt (gottesdienstliche Handlungen) verrichten sollen und durch die 'Aḥadīth wird uns ermöglicht, gute, fromme Taten zu begehen und auf Fehler aufmerksam zu werden und diese zu meiden. Diese 'Aḥadīth stellen im Großen und Ganzen etwas Gutes für uns dar.
Klarerweise liegen auch in Fragen hinsichtlich der Taten, also bezüglich Masā'il al-°Amaliyyah (Angelegenheiten der Taten) 'Ikhtilāf (Dissens) vor. In diesem Zusammenhang wird in einem Ḥadīth (einer Überlieferung) dem Gesandten Allāhs (صلى الله عليه وعلى آله وسلم) zugeschrieben, dass er gesagt haben soll, dass der 'Ikhtilāf (Dissens) in der Ummah eine Gnade sei.
Gemäß der ungefähren Übersetzung der Auslegung des Übersetzers:
Es wurde überliefert, dass der Gesandte Allāhs (صلى الله عليه وآله وسلم) sagte: „Der 'Ikhtilāf (Dissens) ist eine Raḥmah (Barmherzigkeit).“
(Quelle: Kaschf al-Khafā' wa Muzīl al-'Ilbās von 'Ismā°īl ibn Muḥammad al-°Adschlūnī al-Dscharrāḥī)
In Hinblick auf 'Ikhtilāf (Dissens) bezüglich Fragen des Fiqh (Rechtswissenschaft) und Masāi'l al-°Amaliyyah (Themen der Taten) kann dies allerdings nicht so verstanden werden, denn dieser 'Ikhtilāf (Dissens) in der Ummah ist vielmehr eine Strafe für uns. Dass sich heute unter uns kein Ma°ṣūm (Unfehlbarer) befindet, ist al-Imtiḥān (eine Prüfung) und al-Dschazā' (eine Strafe) für diese Ummah. Denn eigentlich müssten wir als eine Ummah auch nur eine °Aqīdah, nur einen Weg und eine Linie befolgen und sollten nicht in vielerlei Ausrichtungen und Manāhidsch gesplittet sein. Wir sind eine gestrafte Ummah und leben eine Strafe, die Allāh سبحانه و تعالى uns auferlegt hat, die sich darin zeigt, dass wir heute ein Chaos von Gruppierungen, Richtungen und Meinungsverschiedenheiten haben.
Die Sunnah als Teil der Religion
Es gibt nun auch die Ausrichtung der Qur’āniyyūn, welche die Sunnah grundsätzlich ablehnt und ihre Religion allein auf den Qur’ān stützt. Wir sagen, dass dies falsch ist, denn wer die Sunnah ablehnt, lehnt den Glauben ab. Die Sunnah ist die Quelle, in der das Leben sich manifestiert, aufgrund derer wir unseren Dīn im Leben umsetzen und etablieren können. Wir nehmen die Sunnah an und bemühen uns und versuchen, die richtigen Urteile abzuleiten, um von der Sunnah das Richtige zu schöpfen. Daneben gibt es auch ein anderes Extrem, das Verständnis der Akhbāriyūn, welche die Sunnah gänzlich annehmen. Auch hier sagen wir, dass dies falsch ist, denn nicht alles davon kann für den Glauben angenommen werden.
Unsere Position ist in der Mitte. Wir sagen, dass diese Ummah eine einzige °Aqīdah haben muss. Wir müssen einen Manhadsch (eine Methodik) verwirklichen und uns auf einer, der gleichen Richtung befinden. Diese ergibt sich dadurch, dass die °Ulamā (Gelehrten) sich zusammen bemühen, beraten und dass sie prüfen und ihr Bestes dafür geben, einen einzigen, gemeinsam Weg zu ebnen. Unsere Lage ist mit der von Gefangenen im Gefängnis vergleichbar: Wenn man nicht mit den Gefängnisinsassen zurechtkommt, hat man die Option sie zu bekämpfen, was die Lage aller nur verschlimmert oder aber man hat die Option, sich um Einigung zu bemühen, um ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen. Auch die Christen und die Juden sind eine bestrafte Ummah. Sie haben gegen °Īsā (عليه السلام) gehandelt und Allāh (عز وجل) hat sie bestraft und °Īsā (عليه السلام) von ihnen weggenommen, während sie weiterhin ihren Dīn praktizieren sollten. Auch wir sind gegen die Ahl al-Bayt (عليهم السلام) vorgegangen, wir haben den Weg, den der Prophet, den Allāh (جل جلاله) uns vorgeschrieben hat nicht befolgt und Allāh (تبارك وتعالى) hat die Ma°sūmīn (Unfehlbaren) von uns weggenommen und uns dem Chaos und der Desorientierung überlassen. Aber Allāh (تـعـالـى) gibt immer einen Ausweg und unser Ausweg liegt darin, dass wir uns versammeln und vereinigen. Wir müssen uns auf eine Schiene begeben und uns auf eine Art einigen, wie wir die 'Aḥkām (Urteile) ableiten. Diese Linie wird uns Klarheit geben und dazu befähigen, einen gemeinsamen Weg zu beschreiten.
'Idschmā° al-Ṣaḥābah (Konsens der Gefährten) und Qiyās (Analogieschluss)
Wir wollen nun auch die Bedeutung der Begriffe 'Idschmā° al-Ṣaḥābah (Konsens der Gefährten) und Qiyās (Analogieschluss) in diesen Kontext setzen und halten zunächst wiederholt fest: In unserem Dīn gibt es nur zwei Rechtsquellen:
- An erster Stelle ist es der edle Qur’ān und
- An der zweiten Stelle die gereinigte Sunnah.
Jede weitere Quelle der Rechtsfindung, die diesen beiden Quellen hinzugefügt wird, ist in Wirklichkeit keine Rechtsquelle und dies gilt auch für die Begriffe 'Idschmā° al-Ṣaḥābah und Qiyās. Zum besseren Verständnis erläutern wir vereinfachend im Nachfolgenden die Wirkungsweise dieser beiden Begriffe.
'Idschmā° al-°Ulamā
Mit 'Idschmā° al-°Ulamā wird nicht die Situation beschrieben, wenn sich °Ulamā (Gelehrte) über die Eindeutigkeit von 'Āyāt im edlen Qur’ān zu einigen suchen. Heutzutage wird mit 'Idschmā° das Phänomen bezeichnet, demnach zunächst eine Fragestellung vorliegt, zu der keine Antwort im edlen Qur’ān gefunden bzw. erkannt werden kann. Sodann versuchen die °Ulamā auf diese Fragestellung eine gemeinsame Meinung zu bilden, die dann als Fatwah (Rechtsgutachten) auf Basis eben dieser Einigung der °Ulamā akzeptiert wird. Zudem kam es auch vor, dass solche Fatāwā (Rechtsgutachten) verabschiedet wurden, die bereits im edlen Qur’ān vorliegen. Wir sagen, dass dieser 'Idschmā° grundlegend falsch ist, da Allāh (سبحانه و تعالى) im edlen Qur’ān für jede Frage eine Antwort bestimmt hat.
Al-Qiyās
Mit al-Qiyās (dem Analogieschluss) verhält es sich ähnlich: Auch diesem Vorgehen liegt zunächst eine Fragestellung zugrunde und für diese existiert auch eine Antwort. Die adäquate Antwort für diese Fragestellung wird aber nicht erkannt, sondern so erschlossen, indem auf eine ähnliche Frage bezogen und in der Folge der Ḥukm (Urteil) aufgrund der Ähnlichkeit der Fragen abgeleitet wird. Wir sagen, dass es falsch ist, auf diese Weise zu verfahren und halten fest, dass es °Ulamā gibt, die den edlen Qur’ān falsch interpretieren bzw. interpretiert haben. Wir wissen, dass wir bis zum Jüngsten Tag für jede Frage eine Antwort im edlen Qur’ān finden und lehnen daher 'Idschmā° al-Ṣaḥābah und Qiyās ab und negieren ihre Legitimation. Wir wiederholen abschließend, dass für uns die einzigen akzeptablen Rechtsquellen der edle Qur’ān und die gereinigte Sunnah sind.
<[...] وَنَزَّلْنَا عَلَيْكَ الْكِتَابَ تِبْيَانًا لِّكُلِّ شَيْءٍ [...]>
Gemäß der ungefähren Übersetzung der Auslegung des Übersetzers:
[...] Und Wir haben das Buch auf dich hinabgesandt, tibyānan likulli schay'in (um alles deutlich zu machen) [...]
(Quelle: Der edle Qurʹān; Sūrah al-Naḥl [16], 'Āyah 89)
Und Allāh weiß es am besten und ist weiser.