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Frage: Wie gibt man jemanden am besten eine Naṣīḥah ?

Antwort: Allāhs Segen sei auf Muḥammad und der Familie von Muḥammad.

Damit man jemandem eine Naṣīḥah (gutgemeinter Ratschlag) erteilen kann, müssen einige wichtige Punkte beachtet werden. Grundsätzlich sollte die Aufmerksamkeit des Menschen in erster Linie auf seine eigene Person und nicht auf andere gerichtet sein. Man sollte verstehen, dass wir Menschen nicht ma°ṣūm (unfehlbar) sind und jeder zu irgendeinem Zeitpunkt einen Fehler bzw. eine Sünde begeht und man nicht davor verschont ist, den gleichen Fehler zu begehen, den man gerade an jemandem sieht und aufzeigen möchte. 

عن أنس بن مالك رضي الله عنه قال: قال رسول الله صلى الله عليه وسلم : كلُّ بني آدم خَطَّاءٌ، وخيرُ الخَطَّائِينَ التوابون

Gemäß der ungefähren Übersetzung der Auslegung des Übersetzers:
Es wurde von Abū Ḥamzah 'Anas ibn Mālik überliefert, dass der Gesandte Allāhs (صلى الله عليه وآله وسلم) sagte: „Alle Söhne Ādams begehen Fehler und die besten unter ihnen sind diejenigen, die oft bereuen."
(Quelle: al-Dīn al-Aṣīl.com; al-Dschāmi° al-Ṣaḥīḥ von Muḥammad ibn °Īsā al-Sulamī al-Tirmidhī)

Jeder Mensch begeht Fehler, Sünden und tappt in die Falle des Schayṭān (Satan) - außer die Ma°ṣūmīn (Unfehlbaren). Auch wird jeder in seinen Farā'iḍ (Pflichten) und Aufgaben nachlässig und setzt seine Prioritäten im Dīn (Religion) falsch. Zum einen ist der Mensch nicht in der Lage, sich vor solchen Umständen gänzlich zu befreien und zum anderen, sind diese Abweichungen von Mensch zu Mensch verschieden, also relativ. Nicht alles, was von außen von einem Betrachter als ein Fehler gewertet wird, ist auch tatsächlich ein Fehler und deshalb sollte das Beurteilen nicht voreilig erfolgen.

Es gibt keinen Ḥadīth (Überlieferung), der uns erreicht hat, welcher darüber berichten würde, dass der Prophet (صلى الله عليه وآله وسلم) einer Person ihre Fehler und Sünden in der Öffentlichkeit dargelegt hätte. Jedoch kamen Menschen zu ihm und haben ihre Fehler offengelegt und gaben sie zu, worauf er ihnen anriet, diese nicht nach außen zu tragen. Obwohl der Prophet (صلى الله عليه وآله وسلم) diese Informationen, die er direkt von den betroffenen Menschen erhielt, gegenüber Dritten hätte äußern können, erwähnte er ihre Sünden nicht, sondern schloss beim Anblick der Fehler der Menschen seine Augen. Im Gegensatz dazu, sind die Beurteilungen von Menschen, die Fehler begehen, nur bloße Einschätzungen und subjektiver Natur. Der bedeutendste Beweis findet sich im edlen Qurān:

<يَا أَيُّهَا النَّبِيُّ جَاهِدِ الْكُفَّارَ وَالْمُنَافِقِينَ وَاغْلُظْ عَلَيْهِمْ ۚ وَمَأْوَاهُمْ جَهَنَّمُ ۖ وَبِئْسَ الْمَصِيرُ يَحْلِفُونَ بِاللَّهِ مَا قَالُوا وَلَقَدْ قَالُوا كَلِمَةَ الْكُفْرِ وَكَفَرُوا بَعْدَ إِسْلَامِهِمْ وَهَمُّوا بِمَا لَمْ يَنَالُوا ۚ وَمَا نَقَمُوا إِلَّا أَنْ أَغْنَاهُمُ اللَّهُ وَرَسُولُ […]>

Dies bedeutet gemäß der ungefähren Übersetzung der Auslegung des Übersetzers:
<O Prophet, setz dich gegen die Kuffār (Ungläubigen) und die Munāfiqīn (Heuchler) ein und fasse sie hart an. Ihre Heimstätte ist die Hölle - welch schlimmes Ende! Sie schwören bei Allāh, sie hätten es nicht gesagt. Aber sie haben wohl das Wort des Kufr (Unglauben) gesagt und sind, nachdem sie den Islām angenommen hatten, ungläubig geworden. Sie waren im Begriff, das auszuführen, was sie (doch) nicht erreicht haben. Und nichts ließ sie grollen, als dass Allāh es war - und (auch) sein Gesandter […]>
(Quelle: Der edle Qurʹān; Sūrah al-Taubah [9], Āyah 73, 74)

Wie in der Āyah zu sehen ist, haben die Menschen gelogen, obwohl sie zuvor bei Allāh (سبحانه و تعالى) schworen. Dennoch war es nicht die Art und Verfahrensweise des Propheten (صلى الله عليه وعلى آله وسلم), auch wenn er wusste, dass sie gelogen haben, sie öffentlich als Lügner hinzustellen und zu tadeln. Obschon der Prophet viele Situationen mit Kuffār und Munāfiqīn erlebte und dabei wusste, dass sie lügen, hat er dieses Wissen weder ihnen gegenüber noch in der Öffentlichkeit offengelegt.

وجاء قوم بخراسان إليه (عليه السلام) فقالوا إن قوما من أهل بيتك يتعاطون أمورا قبيحة فلو نهيتهم عنها قال لا أفعل فقيل و لم قال سمعت أبي (عليه السلام) يقول النصيحة خشنة

Gemäß der ungefähren Übersetzung der Auslegung des Übersetzers:  
Es wurde überliefert, dass eine Gruppe aus Khorāsān Leute zu 'Abū al-Ḥasan II. °Alī ibn Mūsā al-Riḍā (عليه السلام) kamen und sagten: „Einige Leute aus deinem Haus handeln in schändlicher Weise. Halte sie davon ab.“ Er sagte: „Ich mache das nicht“. Sie fragten: „Warum?“. Er sagte: „Ich hörte meinen Vater (عليه السلام) sagen: „Die Naṣīḥah (Ratschlag) ist immer hart.“
(Quelle: al-Dīn al-Aṣīl.com, Ḥadīth-Nr.-00191; Kaschf al-Ğummah fī Ma°rifati al-A'i'mmah von Bahā' al-Din 'Abū al-Ḥasan °Alī ibn °Īsā Hakkārī al-'Irbilī)

Natürlich bedeutet dies nicht, dass der Imām mit diesen Sünden zufrieden war. Vielmehr ist er aufgrund seiner Weisheit dieser Aufforderung nicht nachgekommen und hat seine Leute nicht zu sich geholt, um sie dann öffentlich zu tadeln. Er ließ sich damit Zeit und konfrontierte sie nicht direkt damit, da er bereits wusste, wie er hinsichtlich der Gesamtsituation mit dieser Angelegenheit verfahren wird.

Zusammenfassend kann bezüglich der Kritik oder des Ratschlages folgendes festgehalten werden:

Wenn man von jemandem weiß, dass er einen Fehler begeht, soll man vermeiden, diese Person direkt, in der Öffentlichkeit darauf anzusprechen. Möglicherweise wird es auch in privaten Situationen vorkommen, dass der Ratschlag nicht angenommen wird, da wir wissen, dass der Rat stets hart für den Empfänger ist. Es kann passieren, dass der vermeintliche Fehler keiner war und irrtümlich als Fehler bzw. Sünde eingeschätzt wurde, obwohl das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass die Person etwas Erlaubtes (Ḥalāl) tat. So ist es möglich, dass die Gesamtsituation falsch eingeschätzt wird und man die Zusammenhänge aller relevanten Faktoren nicht erfassen kann. Es kann auch vorkommen, dass bei der Person, die den Fehler begeht, der Stolz zum Vorschein tritt und sie sich die Naṣīḥah nicht anhört oder nicht annimmt. Obwohl man dieser Person das Gute wünscht, kann es passieren, dass durch die falsche Art, eine Naṣīḥah zu erteilen, die Person sich gegenteilig als erhofft verhält und sich vom Dīn distanziert.

Die Naṣīḥah kann in einer allgemeinen Art und Weise erfolgen und es ist auch möglich, ein bestimmtes Thema aufzugreifen und darüber zu sprechen. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit, das Thema Rauchen anzusprechen, wenn man jemanden beim Rauchen sieht: Anstatt über das Rauchen dieser Person zu sprechen, kann man die Frage in den Raum stellen, ob das Rauchen oder die Einnahme von Drogen etc. ḥarām (verboten) ist oder nicht. Man soll dann vom Guten ausgehen und idealerweise wird damit die betreffende Person angesprochen und ist in der Lage dazu, diesen Hinweis zu verstehen und umzusetzen. Auf diese Weise wird - so Allāh (تبارك و تعالى) will, kein Schaden entstehen.

Wenn in der Ehe die Ehefrau für sich eine Naṣīḥah einholen möchte, so kann sie sich zuerst an ihren Ehemann wenden. Falls er nicht in der Lage dazu ist, ihr die Antwort zu geben, so kann sie ihn danach fragen, sich die Naṣīḥah beim Gelehrten einzuholen, wobei der Ehemann nach Möglichkeit beim Gespräch anwesend sein soll. Wenn der Ehemann ihr das Gespräch mit dem Gelehrten, das auf ihren Dīn bezogen ist, verbieten sollte, dann darf sie in diesem Fall über sein Verbot hinweg und direkt mit dem Gelehrten in Verbindung treten.

Und Allāh weiß es am besten und ist weiser.

Quelle: Fatwā-Nr.-00191